Your Custom Text Here
Please scroll down for english version
“Als ich im November 2001 anfing, den riesigen fotografischen Nachlass meines Vaters Ludwig Schirmer zu sichten, fand ich ein kleines s/w Foto. Es ist das Bild eines Kindes, das einen Baum hochklettert. Das Kind war ich. Plötzlich war alles wieder da, der Geruch von Frühling und Sommer, die sanfte hügelige Landschaft, meine Kindheit. Ich hatte das Gefühl, einen Schatz zu entdecken. Das Material war nicht geordnet, es gab nur wenige Prints, kaum Kontakte, und von manchen Kontakten gibt es die Filme nicht mehr. Beim Sichten und Aufarbeiten des Archivs half die ganze Familie. Wir entdeckten Fotos, die eine unglaubliche Kraft haben, die traumhaft sind in ihrer Ausstrahlung und in ihrer Ästhetik. Für unsere Familie waren die Bilder sehr wichtig. Aber sie haben mich nicht nur als Tochter sondern vor allem als Fotografin berührt”
– Ute Mahler, 2003
Von 1959 bis 1961 arbeitete Ludwig Schirmer als Müllermeister und fotografierte als Autodidakt das Leben in seinem Heimatdorf Berka. In seiner freien Zeit fotografierte er die Freunde, die Nachbarn. Er war bei den Festen dabei, bei der Arbeit, er machte Bilder von ihrem Feierabend. Er fotografierte seine Familie, die Dorfstrassen, den Wald. Die Leute haben nicht posiert, sie fühlten sich unbeobachtet. Er gehörte dazu und das sieht man den Bildern an. In vielen der Fotos sieht man den gemeinsamen Spass, den sie miteinander hatten. Die Bilder machte Ludwig Schirmer aus der großen Lust heraus, das Erlebte festzuhalten. Er dachte nicht an Veröffentlichungen. Er machte einfach diese Bilder.
Die Arbeit « zuhause» wurde 2003 als Buch in der Edition Braus veröffentlicht.
At Home
‘In 2001, when I began sorting through the enormous archive of my late father, the photographer Ludwig Schirmer, I found one small black and white print – an image of a young child climbing a tree. A photograph of me. Suddenly everything came rushing back – the sweet smell of Spring and Summer, the gentle hilly landscape, my childhood. It felt like stumbling upon a hidden treasure. The photographs weren't organised in any way; there were few prints, hardly any contact sheets, and contact sheets without any negatives. Eventually the whole family pitched in to help with the daunting task of sorting through the archive. We discovered unbelievably powerful images, dreamlike in their charisma and aesthetics. For the family the images from my father were very important. But for me they touched me not only as a daughter but, above all else, as a photographer.’
– Ute Mahler, 2003
In the 1950s until 1960, Ludwig Schirmer worked as a professional miller and made pictures as a self-taught amateur photographer in his home village of Berka, Thuringia. In his free time he photographed his friends and neighbours. He was there at local festivals, taking pictures before and after the fanfare; he photographed his family, the village streets, and the surrounding forest. People didn't pose; the images feel as though the subjects are unaware of the camera. He belonged to the village and its people and you can see that in the photographs, especially those depicting the fun they shared with each other. Schirmer photographed to fulfill his need to capture experiences. He wasn't concerned about showing the work or publishing it, he just made pictures. The final work "zu hause" ("At Home"), was published by Edition Braus in 2003.
Die Fotografien „Mensch-Maschine“ sind zwischen den 1960er und 1970er Jahren im Rahmen von Werbeaufträgen in den unterschiedlichsten Betrieben in der DDR entstanden. Die Aufnahmeorte sind nicht mehr eindeutig zu rekonstruieren, reichen jedoch von Fabriken der Schwerindustrie bis zur Verarbeitungsindustrie. Mit der nahezu filmischen Inszenierung der Maschinen hat Ludwig Schirmer Bilder aufgenommen, die Rätsel aufgeben. Wer beherrscht hier wen? Haben die Maschinen die Kontrolle über die Menschen erlangt? Fast scheint es, als würden die Personen neben den Metall-, Stahl- und Eisenkonstruktionen nur noch bloßes Beiwerk sein. Auf einigen Bildern wirken die Frauen und Männer abwesend bis apathisch, auf einigen anderen scheinen sie mit ihrem Arbeitsgerät zu verwachsen. Trotzdem sind die Personen nicht wegzudenken. Die Spannung der Bilder wird vor allem durch der Beziehung zwischen Mensch und Maschine erzeugt. Dieses Zusammenspiel setzt Schirmer auch durch die künstliche Beleuchtung perfekt in Szene.
Text: Cornelia Siebert
People-Machines
The photographs in "Mensch-Maschine" ("People-Machines") were made in the 1960s and 1970s in various factories across the GDR. The exact locations have been lost to history but they range from industrial factories to processing plants. With an almost cinematic approach to capturing the at-times massive environments, Schirmer created images imbued with mystery. Who controls whom? Have the machines taken over? It seems almost as if the people next to the metal, steel and iron machinery are merely accessories. In some images the women and men share blank stares or seem apathetic to what's happening around them. In others, they appear to be a part of the machinery. Nevertheless, the people are integral to the resulting images. The tension in the photographs is generated by the relationship between man and machine, the interplay highlighted by Schirmer's masterful lighting techniques.
Text: Cornelia Siebert
Die Portraits sind zwischen den 1960er- und 1970er-Jahren in den unterschiedlichsten Betrieben in der DDR entstanden. In dieser Werkgruppe steht der Mensch in seiner Rolle als Arbeiter oder Arbeiterin im Mittelpunkt. Die Personen sind in ihrem direkten Arbeitsumfeld in Szene gesetzt. Ähnlich wie August Sanders Gesellschaftsporträts aus dem frühen 20. Jahrhundert handelt es sich bei diesen Aufnahmen um typologische Studien, die viel mehr über gesellschaftliche und politische Umstände, als über Persönlichkeit oder Charaktermerkmale des Einzelnen erzählen.
Text: Cornelia Siebert
People-Machines Portraits
The portraits in this series were created in the 1960s and 1970s in various factories across the GDR. Here, the individual in their role as a worker is the focus of the photographs, posed in their work environments by Schirmer. Similar to August Sander's early 20th-century portraits of cross-sections of society, these are typological studies that tell much more about the social and political circumstances of the day than about the individual's personality or situation.
Text: Cornelia Siebert
For English version please scroll down
Ludwig Schirmers Aufnahmen der Leipziger Möbelmesse waren ursprünglich als Werbefotografien für Kataloge oder Broschüren gedacht. Ihren werbenden Charakter haben die Bilder jedoch hinter sich gelassen. Aus heutiger Sicht rückt ihr dokumentarischer Anteil in den Vordergrund und lässt die Bilder als Zeitzeugnis einer noch nicht allzu lang vergangenen Epoche und ihrer Ästhetik erscheinen.
Die abgebildeten Möbelmodule sind Bestandteile eines individuell und pragmatisch zusammenstellbaren Baukastensystems des Möbelherstellers Kehr und entstammen der klassischen Serie „Das Baukasten-Programm“. In einer Broschüre des Herstellers wurden diese Wohnversatzstücke optimistisch und zukunftsorientiert beworben: „Das Baukasten-Programm ermöglicht die Einführung einer hochmodernen Fertigungstechnologie vom Zuschnitt bis zur Ausführung.“ Auch die Wohnkultur war in der DDR dem Fortschrittswillen unterworfen.
Als Werbefotograf lichtete Ludwig Schirmer diese Einrichtungen auf der Leipziger Möbelmesse mit einer Großformatkamera ab und bewahrte dabei den Anblick der strengen, linearen und oft symmetrischen Anordnung der Möbelstücke. Kombiniert wurden sie mit den heiteren, blumigen und manchmal fast psychedelischen Motiven von Wohntextilien und Tapeten, die den geordneten Aufbau der Wohnansichten auflockern. Um auf den Bildern zu betonen, wie es sich in diesen Arrangements leben und wohnen lässt, brachte Ludwig Schirmer auch persönliche Gegenstände mit und platzierte sie auf den Tischen und Sideboards der Einrichtungsansichten.
Die kompakten Möbellandschaften und farblich aufeinander abgestimmten Einrichtungswelten, die in einer Leipziger Messehalle Ende der1960er Jahre arrangiert wurden, geben einen Eindruck vom Wunsch nach fortschrittlichem und effizientem Wohnraum in der DDR.
Text: Constanze Hager
Ludwig Schirmer’s photographs of of the Leipzig furniture fair were originally conceived as advertising photographs advertising photographs - for catalog or brochures. However, the images have since shed their advertising character. From today’s point of view, the documentary value of the images come to the fore, allowing them to read as a chronical record of a not-so-distant era and it’s aesthetics.
Combinations of cabinets and shelves covering living room walls allow for ample storage in as little space as possible. The furniture modules depicted also function as modular system components, which are combinable in individual and pragmatic ways. Produced by furniture manufacturer Kehr, they form part of the Das Baukasten-Programm [modular program] series. One of the manufacturer’s brochures promotes these versatile living room components in an optimistic and future-oriented fashion: “With the modular program, implementing state-of-the-art production technology from cutting to length to finished product is now possible.” A commitment to progress was also highly valued in GDR home décor.
Commercial photographer Ludwig Schirmer captured these furnishings at the Leipzig Furniture Fair with a large-format camera, preserving in the process their austere, linear, and frequently symmetrical arrangements. The ordered compositions of living spaces were livened up with the addition of cheerful, floral, and at times almost psychedelic patterns of living room textiles and wallpapers. In order to convey in the images what living with these arrangements is like, Ludwig Schirmer also brought personal items with him, posing these on tables and sideboards in his views of the furnishings.
Space-saving furniture displays and color-coordinated furnishings arranged inside a Leipzig trade fair hall in the late 1960s provide an impression of the yearning in the GDR for progressive and efficient living spaces.